Grundlegende zahnmedizinische Versorgung von Vertriebenen

ADOPTED by FDI General Assembly January, 2018 in Buenos Aires, Argentina

Kontext

Die Welt erlebt zurzeit die Zunahme von Konflikten, die verstärkt zu Zwangsvertreibungen von Menschen führen. Nach Informationen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) waren Ende 2017 rund 68,5 Millionen Menschen weltweit als Vertriebene aufgrund von Verfolgung, bewaffneten Konflikten, allgegenwärtiger Gewalt, Naturkatastrophen, Hunger und wirtschaftlicher Veränderungen unterwegs. Davon waren fast 25 Millionen Flüchtlinge, 40 Millionen Binnenvertriebene und 3 Millionen Asylsuchende.1

Vertriebene gehören zu den schutzbedürftigsten Gruppen weltweit. Sie haben nur eingeschränkt Zugang zu präventiver und therapeutischer zahnmedizinischer Versorgung. Die Folgen unbehandelter Zahnerkrankungen und zahnmedizinischer Notfälle sind Schmerzen, Dysfunktionen, systemische Erkrankungen und schlechte Lebensqualität. Zu den Hindernissen für eine zahnmedizinische Versorgung von Vertriebenen gehören die hohen Kosten für eine Zahnbehandlung, Mangel an Zahnärzten, fehlende Krankenversicherung sowie Sprachbarrieren im Falle von Vertriebenen in anderen Ländern einschließlich Asylsuchender.2,3,4,5

Geltungsbereich

Regierungen, Justiz und Gesetzgeber sollten anerkennen, dass die Angehörigen zahnmedizinischer Berufe die Pflicht zur zahnmedizinischer Versorgung bei klinischen Notfällen unabhängig vom politischen, religiösen, ethnischen oder zivilrechtlichen Status der Patienten haben. Weder Regierungen noch Gesetzgeber sollten diese Pflicht verhindern oder erschweren. Nichtregierungsorganisationen sollten motiviert werden, in dieser kritischen öffentlichen Gesundheitssituation tätig zu werden. Alle Interessengruppen sollten aktiv einen Beitrag zur Umsetzung des UN-Nachhaltigkeitsziels 10: „Ungleichheiten verringern“ leisten.6

Definitionen

Vertriebene werden definiert als Personen oder Personengruppen, die zur Flucht gezwungen wurden oder ihre Wohnung oder ihren angestammten Wohnsitz infolge eines bewaffneten Konflikts, innerer Unruhen und/oder ständiger Menschenrechtsverletzungen sowie von Naturkatastrophen oder von Menschen herbeigeführter Katastrophen verlassen müssen, wobei ein oder mehrere dieser Umstände zutreffen.1

Grundsätze

Alle Menschen haben das gleiche Recht auf den Zugang zu einer zahnmedizinischen Versorgung.

Alle Menschen, auch Vertriebene, sollten Zugang zu einer adäquaten medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung haben, ohne Vorurteile oder Angst vor Diskriminierung.

Stellungnahme

Der FDI Weltverband der Zahnärzte:

  • weist nachdrücklich darauf hin, dass Vertriebene ungeachtet ihres politischen, religiösen, ethnischen oder zivilrechtlichen Status eine angemessene zahnmedizinische Versorgung unter der Bedingung der Zustimmung und unter Wahrung der Vertraulichkeit brauchen;
  • ist sich darüber im Klaren, dass Vertriebene im Hinblick auf Diskriminierung und Vernachlässigung besonders gefährdet sind und dass eine angemessene Behandlung durch Zahnärzte erfolgt, wenn dies klinisch indiziert ist. Die erforderliche Behandlung darf aus nichtklinischen Gründen nicht verweigert oder eingeschränkt werden.
  • erkennt Vertriebene als schutzbedürftige Gruppe an, die vielfach einen hohen Versorgungsbedarf hat, deren Zugang zu einer adäquaten und rechtzeitigen zahnmedizinischen Versorgung jedoch aufgrund mehrfacher Barrieren verhindert wird;
  • stellt fest, dass Vertriebene u. U. keinen Zugang zu einer adäquaten und dauerhaften Versorgung haben. Aus diesem Grunde sollten zweckmäßige Behandlungspläne erstellt werden, damit nachhaltige und effektive klinische Ergebnisse erzielt werden können;
  • erkennt an, dass Zahnärzte die ethische Pflicht haben, alle Menschen einschließlich Vertriebener zahnmedizinisch zu versorgen;
  • ist sich darüber im Klaren, dass Zahnärzte ausreichend Zeit und Ressourcen brauchen, um die klinischen, physischen und psychischen Bedürfnisse von Vertriebenen beurteilen zu können;
  • weist auf die Bedeutung einer umfassenden Zusammenarbeit und Arbeitskoordinierung zwischen Regierungsbehörden und Nichtregierungsinstitutionen, die Vertriebene betreuen, sowie örtlichen Zahnärzteverbänden hin, damit Vertriebene eine zweckmäßige zahnmedizinische Versorgung erhalten;
  • will Zahnärzteverbände dazu bewegen, das Recht aller Menschen einschließlich Vertriebener auf eine erforderliche, zweckmäßige und evidenzbasierte zahnmedizinische Versorgung auf Basis klinischer Notwendigkeiten zu fördern;
  • verurteilt gesetzgeberische und zivilrechtliche Praktiken, die den Zugang von Vertriebenen zu einer angemessenen zahnmedizinischen Versorgung begrenzen;
  • hält zahnmedizinische Fakultäten an, Studenten der Zahnmedizin die Kompetenzen und das Selbstvertrauen zu vermitteln, damit sie die Herausforderungen bei der Behandlung von Vertriebenen bewältigen können.
  • ermutigt aufnehmende Länder, in Zusammenarbeit mit örtlichen Zahnärzteverbänden und mit der Unterstützung von Regierungsbehörden und Nichtregierungsorganisationen Präventiv- und Therapiestrategien und Behandlungen zu entwickeln, die die Belastungen durch orale Erkrankungen innerhalb der Gruppe der Vertriebenen verringern.
  • fordert eine globale Strategie zur medizinischen Versorgung von Vertriebenen, die auch die Mundgesundheit als wesentliches Element berücksichtigt. Bei der Umsetzung dieser Strategie ist auch auf die adäquate zahnmedizinische Versorgung und die Prävention weiterer Erkrankungen zu achten.

Disclaimer

Die Informationen in dieser Stellungnahme basieren jeweils auf dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Sie können so ausgelegt werden, dass sie existierende kulturelle Sensibilitäten und sozioökonomische Zwänge widerspiegeln.

Literaturhinweise

  1. United Nations High Commissioner for Refugees. Global Trends: 2017 in Review. Available from http://www.unhcr.org/en-us/statistics/unhcrstats/5b27be547/unhcr-global-trends-2017.html.
  2. Roucka TM. Access to dental care in two long-term refugee camps in western Tanzania; programme development and assessment. Int Dent J 2011 61(2):109–15.
  3. Ogunbodede EO, Mickenautsch S, Rudolph MJ. Oral health care in refugee situations: Liberian refugees in Ghana. J Refug Stud 2000 13(3):328–35.
  4. Geltman PL et al. Health literacy, acculturation, and the use of preventive oral health care by Somali refugees living in Massachusetts. J Immigr Minor Health 2014 16(4):622–30.
  5. Davidson N et al. Equitable access to dental care for an at- risk group: a review of services for Australian refugees. Aust N Z J Public Health 2007 31(1):73–80.
  6. United Nations Sustainable Development Goals. Division for Sustainable Development Goals. Department of Economic and Social Affairs. Available from https://sustainabledevelopment.un.org/?menu=1300. Accessed on 23 July 2018.

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